Sally Perel am Edith-Stein-Gymnasium Bretten

"Ich wünsche mir, neue Zeitzeugen geschaffen zu haben". Mit diesen Worten, gerichtet an Schülerinnen und Schüler der Kursstufe am Edith-Stein-Gymnasium, an Lehrer, an Eltern, kurzum an alle Zuhörer, beendet Sally Perel seinen Zeitzeugenvortrag. Perel, der erst einen Tag zuvor aus seiner Heimat Tel Aviv nach Deutschland geflogen war und seine mehrwöchige Gesprächstour an deutschen Schulen hier in Bretten begonnen hat, ist wohl der Letzte seiner Art. Vermutlich sogar der Einzige, denn obwohl sein Glaube derselbe ist wie der von Millionen im „Dritten Reich“ auf grausame Art ermordeten jüdischen Glaubensgeschwistern, so ist sein Schicksal doch ein anderes:
 
„Ich habe versteckt unter der Haut des Feindes gelebt", sagt der heute 94-jährige. Als die Nazis 1933 an die Macht kamen, ist er acht Jahre alt. Nach der Verabschiedung der Nürnberger Rassegesetze fliegt er von der Grundschule in seinem Geburtsort Peine. „Warum?“, will der Junge wissen. „Weil du Jude bist“, antwortet der Direktor.
 
Er zieht mit seiner Familie nach Polen, doch als deutsche Truppen am 1. September 1939 das Land überfallen, werden alle Juden in Ghettos zwangsumgesiedelt. Für Perels Familie geht es nach Lodz. Hier ereignet sich ein entscheidender Wendepunkt in seinem Leben:
Die Eltern beschließen, dass Salomon, genannt Sally, und sein Bruder bessere Chancen haben, wenn sie als Soldaten dienen. Die letzten Worte, die sie ihm mit auf den Weg geben, verändern ihn. Der Vater sagt, Sally solle immer an Gott glauben, denn dann werde Gott ihn beschützen. „Gott war nicht in Auschwitz“, stellt der Sohn heute fest. „Geh! Geh! Du sollst leben!!", sind hingegen die Abschiedsworte seiner Mutter.
 
Zusammen mit anderen polnischen Kindern fliehen die Geschwister nach Minsk. Dort werden sie von Deutschen aufgegriffen. Sally umreißt sofort den Ernst der Lage: Leute, die laut ihrem Ausweis jüdisch sind, werden in einen nahegelegenen Wald geführt. Man hört Schüsse fallen. In einem unbemerkten Moment gelingt es Sally, seine Papiere mit dem Fuß im weichen Lehm zu seinen Füßen zu verscharren.
„Wie heißt du?“, fragt ihn ein Wehrmachtssoldat. „Jetzt konnte ich natürlich nicht Salomon sagen, das war ein jüdischer Name und mein Leben hätte schnell im Wald mit einem Kopfschuss ein Ende gefunden", erzählt Sally. „Josef“, antwortet der junge Perel.
Dabei klingt er so überzeugend, dass die deutschen Soldaten darauf verzichten, nachzusehen, ob er beschnitten ist. Die Beschneidung, das eindeutige jüdische Merkmal, die Beschneidung, das eindeutige Todesurteil während der NS-Zeit.
 
So beginnt für "Josef" ein Doppelleben. Eingekleidet in eine Hitlerjugenduniform landet der fast 16-Jährige in Braunschweig, Dort lernt er an der Schule Rassenkunde und die Nazi-Ideologie, die „wie Gift in die Gehirne der Kinder eingeimpft" wurde. Sie war logisch und klang wissenschaftlich - und so begann auch "Josef" daran zu glauben.
„Zwei Seelen wohnten damals in meiner Brust", erklärt Sally, „die eine tödlich für die andere und umgekehrt.“
Heute spricht er von einem zynischen Missbrauch der echten Vaterlandsliebe eines Jugendlichen, wenn er von der Schulzeit erzählt. Der spätere Scharführer "Josef" dient an der Front, es gelingt ihm weiterhin, seine Identität zu verschleiern. Bis ihn eines Tages der homosexuelle Sanitätsunteroffizier, der ein Auge auf ihn geworfen hat, beim heimlichen Baden überrascht. „Jupp, du bist ja ein Jud! Jupp, glaube mir, es gibt auch ein anderes Deutschland", sagt er dann noch. Er ist der einzige, dem Sally von seiner wahren Identität erzählt. Weil auch dem Unteroffizier als Homosexueller im Rahmen des Euthanasieprogramms der Tod droht, bewahren beide gegenseitig ihr Geheimnis.
Das Schlimmste für ihn war jedoch, vertraut er uns an, dass Nazis keine Monster waren. „Ich erlebte sie als normale Menschen mit Familie und allem - das war ja gerade so furchtbar. Wo blieb die christliche Erziehung?", fragt der Zeitzeuge. Was war aus der christlichen Nächstenliebe geworden?
 
Nachdem der Zweite Weltkrieg 1945 durch den Sieg der Alliierten und der Sowjets endet, zieht es Sally nach Israel, sein Vaterland. Doch Deutschland sieht er weiterhin als "Mutterland", das er jährlich bereist, um Schülern von der Wahrheit zu erzählen.
Zeitzeugen seien schließlich die besten Geschichtslehrer, soll auch schon der Regisseur Steven Spielberg („Schindlers Liste“) gesagt haben. Angesichts der Tatsache, dass 40% der deutschen Jugendlichen bis 25 nicht wissen, was der Holocaust ist, ist seine Arbeit auch unbedingt notwendig. „Das sind Dummköpfe", meint er ernst über diesen Teil der Jugendlichen. „Aber diejenigen, die ihn leugnen - das sind Verbrecher!"
 
Und deshalb hat er sich geschworen: „Solange mich meine Füße tragen, will ich von der Wahrheit berichten.“

von Yannik Zausig

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